Ein Raum, ein Tempel

So, Ihr Lieben. Hier bin ich wieder.

Wir waren ja bei indischen Freunden zum Essen eingeladen. Um 20 Uhr sollte uns ein Fahrer abholen. Um kurz nach acht standen wir vor unserem Gate und warteten. Nach einigen Minuten kam ein Mann mit Auto zum Gate gefahren und schaute uns fragend an, fuhr dann aber weiter in die Anlage. Ich hatte im Gefühl, daß das der Driver war. Aber wir dachten, daß er uns schon erkannt hätte…..sind wir doch die einzigen Weißen hier. Nach einigen Minuten kam er wieder und der Gate Mann erklärte uns, daß das unser Fahrer sei…..also doch 😉

Nach 20 Minuten Fahrt erreichten wir unsere Gastgeber.

Papa, Mama, Tochter und Sohn (11 Jahre). Das Mädchen (13 Jahre) war besonders nett und freute sich mit mir englisch reden zu können. Ihr englisch war sehr gut.

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Wir begrüßten uns alle und dann wurden wir ins Wohnzimmer geführt. Dort wurden Getränke und Nüsse gereicht. Die Männer saßen auf einer Seite und die Frauen auf der anderen. Die Dame des Hauses setzte sich sofort zu mir auf die Couch. Aber nicht einfach so, sondern so dicht, daß ich an die Armlehne gedrückt wurde. Neben ihr war noch total viel Platz….aber egal…Körperkontakt in Indien ist ein Muß.

Dann wurde geredet und geknabbert. So ist das in Indien. Also bloß nicht super hungrig zu einer Essenseinladung kommen. Wenn Du um 20 Uhr eingeladen bist, dann erwarte kein Abendessen vor 22 Uhr. Da ich das schon kannte, war ich auch nicht überrascht. Als wir so sprachen, wollte uns der Familienvater seinen ganzen Stolz zeigen. Den Haustempel. Das ist in indischen Häusern normal. Fast jede Familie hat einen kleinen Schrein. Aber sein Tempel nahm einen ganzen Raum ein. Er trat mit uns in ein großes Zimmer und zeigte seine Götter, die er anbetet. Alles war schön geschmückt und neben dem Tempel lag eine kleine Matraze. Er erklärte uns, daß dieser Raum nur zum Beten und Meditieren benutzt werden darf. Nicht zum Lesen, Schlafen, usw.

Wir waren beeindruckt. Ein ganzer Raum nur fürs Beten. Diese Inder sind nicht arm. Das ist Luxus.

Als wir ins Wohnzimmer zurückkehrten, schaute ich mich etwas genauer um. Es gab eine Küche, ein Gäste WC, den Gebetsraum und ein Schlafzimmer (die Tür stand offen und ich konnte das Bett sehen). Ich dachte dann, daß irgendwo ja noch das Kinderzimmer sein müsste….vielleicht geht noch ein Zimmer vom Schlafzimmer ab……

Um kurz nach 22 Uhr wurde das Essen im Wohnzimmer serviert. Es gab Reis, Roti, Gemüse, gekochten Käse, Lamm, Salat, usw. Es war köstlich. Ich habe sogar das Lamm gemocht und normalerweise esse ich so etwas nicht. Zum Nachtisch gab es Vanilleeis. Die Familie hat wirklich aufgetischt.

Da vieles mit den Fingern gegessen wurde, wollte ich mir nach dem Essen die Hände waschen. Da das Gäste WC besetzt war, führte mich die Tochter ins Schlafzimmer, denn dieses hatte ein Badezimmer. Während ich mir die Hände wusch, blieb die Kleine die ganze Zeit neben mir. Als ich dann aus dem Bad heraustrat, schaute ich ich mich im Schlafzimmer um. Ein Doppeltbett, ein Wandschrank, das wars…kein weiteres Zimmer, kein weiteres Bett. Ich fragte das Mädchen wo sie schlafen würde. Sie zeigte schüchtern auf das Bett. Ich fragte sie dann, ob sie sich das Bett mit ihrem Bruder teilt. Sie bejahte das. Ich stutze kurz und fragte dann, wo denn die Eltern schlafen würden. Sie zeigte wieder auf das Bett.

Ich war geschockt. Die Eltern teilen sich mit 2 Jugendlichen ein Bett und ein ganzes Zimmer wird als Tempel benutzt???!!

Dann fragte ich nochmal: Ihr schlaft alle zusammen in einem Bett?

Sie: Ja.

Und dann schaute sie etwas schüchtern auf den Boden.

Es sah so aus, als wenn ihr das unangenehm war und deshalb wechselte ich schnell das Thema. Ich sah einen großen Hubschrauber im Regal und fragte was das für ein cooles Ding sei. Sie strahlte und erzählte stolz, daß man den Helikopter mit einer Fernbedinung lenken kann.

Kurz nach dem Essen verabschiedet man sich dann. So ist das in Indien.

Also taten wir das auch.

Es war ein sehr schöner Abend und die Familie ist sehr nett. Aber die Sache mit dem Zimmer hat mich die ganze Rückfahrt beschäftigt……

 

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8 Gedanken zu “Ein Raum, ein Tempel

  1. Liebe Mascha,

    ich freue mich, dass du uns wieder an deinen Abenteuern im exoischen Indien teilhaben lässt 🙂

    Ich find’s – ganz offen gesagt – erschreckend, dass diese Familie einen ganzen Raum zum Beten hat, aber die Kinder kein Kinderzimmer, geschweige denn ein eigenes Bett haben… Mir tut sich die Frage nach dem Stellenwert der Kinder auf, denn augenscheinlich scheint das Beten wichtiger als die eigenen Kinder zu sein und das finde ich persönlich sehr befremdlich…

    Liebe Grüße
    Anna

  2. Hallo Mascha,

    das ist doch nicht so ungewöhnlich. Als ich klein war habe ich immer im Bett der Eltern geschlafen. Mein Vater hat ein Sperrholzbrett abgebracht so dass ich nicht rausfallen konnte. Einen Tempel hatten wir aber nicht. Nur zwei Räume: Küche und Schlafzimmer. Klo auf dem Hof.

    LG Harald

    • Ja, Harald, aber das klingt so, als wenn Ihr nicht mehr Platz hattet. Und dann ist das ok, da es ja nicht anders geht. Aber wenn Deine Eltern einen ganzen Raum für eine Schubkarre reservieren würden, hätte Dir das evtl auch nicht gepasst 😉

  3. Ich finde das auch befremdlich. Man braucht ja schließlich Rückzugsgebiet – Privatsphäre! Nun, je fundamentaler man Religiosität auslebt, um so mehr Demut wird gefordert… In Indien noch mehr Normalität…

  4. Vielleicht ist auch unser europäisches Denken von Luxus geprägt. In ärmeren Ländern teilen sich die Familien noch heute einen Raum zum Schlafen und auch hier in Europa war das mindestens bis zum Krieg noch so Gang und Gäbe. „Privatsphäre für Kinder“ ist eine neuere Erfindung.

    In Sachen Religion kommt man als nicht religiöser Mensch ohnehin nicht mit. Aber, wenn ein Tempel so ungemein wichtig ist, dann war die Familie vielleicht nicht reich genug für noch ein weiteres Zimmer.

    Möglicherweise muss man auch vorsichtig damit sein, von der Gastfreundlichkeit auf den Alltag zu schließen. Gästen tischt man sicherlich nur das Beste und in rauen Massen auf. Unter Umständen kann man daraus nicht auf den Alltag schließen.

    Was ich sagen will: der Schein kann immer trügen. 😉

    • Natürlich tischt man bei Gästen groß auf. Ich erwarte nicht, daß die Familie immer so speist. Dort werden die Prioritäten halt anders gesetzt und für mich ist das befremdlich, aber ich will da jetzt gar nicht zu sehr drüber urteilen.

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